Elektritschko
Gerade sitze ich mit Pascha und einem jungen Hahn im »Electritschco«, der langsamsten aller möglichen Regionalbahnen. Jedes mal, wenn ich mit dieser Bummelbahn unterwegs war, habe ich mich gefragt, wann denn endlich wer eine Ziege oder vielleicht ein paar an den Füßen aufgehängte Hühner mitbringt und nun sind Pascha und ich gerade noch rechtzeitig mit unseren Rucksäcken und einem Karton mit einem jungen, zum Glück eher stillen Hahn am Bahnsteig angekommen. Begleitet von leicht scheppernder Reggae-Musik aus den tragbaren Mini-Lautsprechern unseres Gastgebers Tori.
Von Koziatin, dem kleinen Städtchen, in dem ich die letzten Tage verbracht habe, bis nach Kiev sind es ca. 200km. Mit diesem Zug wird es etwa vier Stunden brauchen, bis wir ankommen. Dafü kann man hier so ziemlich alles kaufen. Immer wieder kommen Menschen, die neben den Standards wie Bier, andere Getränke und diverse Snacks auch Socken, Hemden, Gemüse, Lupen, Stifte, Spielsachen oder unter allen Mitreisenden kontrovers und laut diskutierte politische oder religiöse Literatur anbieten.
Die meisten Verkäufer sind Rentner, die versuchen ihre magere Rente durch kleine Deals aus dem häuslichen Gemüsegarten aufzubessern. Außerdem haben Rentner, Kinder, Kriegsveteranen und Tschernobyl-Aufräumer (die zählen vermutlich zu den Kriegsinvaliden) in staatlichen Verkehrsmitteln freie Fahrt. Mal eine vernünftige Alternative zur Bahnprivatisierung. Es bringt bestimmt einen volkswirtschaftlichen Vorteil, wenn Omas und Opas kostenlos ihre Enkel besuchen können, anstatt vor der Flimmerkiste auf Alzheimer zu warten.
Tori hat mir einen Wimpel mit dem Titel »Fürdie Deutsch-Sowjetische Freundschaft« geschenkt. Zu Vaters und Großvaters Zeiten gab es wohl enge Verbindungen zwischen dem kleinen Koziatin und Deutsch-Demokratischen Eisenbahner Städten. Tori ist ein ukrainischer Bilderbuch-Rastamann. Eigentlich lebt er in Kiev, aber das Häuschen des verstorbenen Großvaters mit verwildertem Garten ist sein kleines Refugium. Die Menschen leben hier nach eigenem Zeitplan. Die meisten haben nur ein geringes oder auch unregelmäßiges Einkommen, dafü aber einen großen Garten mit — je nach Aufwand — mehr oder weniger reichen Erträgen. Gerade beginnt der Herbst — Erntezeit.
In den letzten Tagen bin ich durch gerade bunt werdende Wälder spaziert, habe 1000de von Walnüssen geknackt und mich nach einem glücklichen Englisch-Buchfund mit der in meiner Schulzeit deutlich zu kurz gekommenen Biologie beschäftigt. Die Umgebung rund um das kleine Häuschen ist durchzogen von kleinen Bächen und größeren Flüssen. Frisch- und Trinkwasser bekommen wir aus dem Brunnen der Nachbarin. Strom gibt es eigentlich schon, nur — ganz so sozialistisch ist die Ukraine nun auch nicht mehr — man müsste ihn bezahlen.
Manch ein Nachbar hat sein Haus modernisiert. Mit eigener Wasserpumpe, Leitungswasser, Wasserklo und dicker Mauer drum herum. Mit funkferngesteuertem, elektrischem Gartentor. Doch die Mehrzahl der Menschen lebt in kleinen, um einen Ofen herum gebauten 3-Raum Häuschen mit zahlreichen zumeist hölzernen An- und Nebenbauten und einem großen schönen Garten. Ergänzend finden sich in den Wäldern und an den Rändern zahlreicher Brachen reichlich Wildfrüchte, Nüsse und Beeren.
Tori hat auch ein Grammophon. Russische Bauart, mit Kurbel dran. Und wenn die Musik nach 2-3 Platten vom Rauschen und Kratzen nicht mehr zu unterscheiden ist, wird der Schleifstein gezückt und die Nadel geschliffen. Während aus dem MP3-Player mit den kleinen Plastiklautsprechern fast ausschließlich Reggaemusik in zahlreichen Sprachen (z.B. Tatarisch) kam, gab es am Grammophon ein abwechslungsreiches Programm aus ukrainischer und russischer Folklore, Arbeiterliedern sowjetischer Tradition bis hin zu Boogie Woogie und Jazz.
Als wir gestern mit Mamas Ernte im Blut und Reggaemusik in der Luft einen Stadtrundgang machten, wurden wir auch gleich von Freunden entdeckt. Genauer gesagt Tori wurde erkannt, während er mitten auf der Kreuzung minutenlang versuchte, Telefonnummern von einem Handy ins andere zu übertragen — ich habe dann die »Tori, Tori« Rufe fürihn übersetzt.
Ach ja, Kommunikation. Eigentlich haben wir zwei eine gemeinsame Sprache. Ein bisschen halt. Und ich bin jetzt extra einen Zug früher gefahren, damit ich mir in Kiev noch ein Russisch-Buch kaufen kann. So sehr ich es auch versuche, so blöd ich mir auch dabei vorkomme, ich bin einfach ein visueller Lerner und kann mir Wörter nicht merken, solange ich sie nicht geschrieben sehe. Aber wenn die Chemie stimmt versteht man sich meist auch ohne Worte.
Die rufenden Jugendfreunde haben uns in das Fotoatelier eines jungen Fotografen eingeladen. Sie waren gerade dabei, ein paar lustige Fotos zu machen. Und da ich mich mit Fotografen fast immer gut verstehe, wurde noch ein ganzer Foto-Nachmittag daraus. War schön, mal wieder Fotos in einem Studio zu machen.
Ein Hahn ist in Ukrainisch ein »Petoschock«, unserer hieß Patrick, machte »kukerikoo« und kostete 25 Grivna (ca. €2,50). Er wird ein neues Zuhause im Garten eines Künstlerhauses im Kiever Stadtteil Mykil’s’ka haben.
December 10th, 2009 at 15:15
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December 10th, 2009 at 15:16
shit, durch die linksbündigkeit sieht mein hahn aber mal n “bissel” angeschlagen aus !