Ukraine
EUROPA?
Die Ukraine ist noch weit entfernt von europäischen Verhältnissen. Auch wenn Städte wie Kharkow, L’Viv und Kiew mit McDonalds, europäischen Banken, zahlreichen Boutiquen und europäischen Cafés daherkommen, sind die Geister der Sowjetzeit allgegenwärtig. Sichtbar in Form von Statuen oder Hammer und Sichel-Symbolen an Gebäuden und Eisentoren und zahlreichen Uniformen von Armee und Polizei. Unsichtbar als Ost-Mentalität in vielen Läden, in Politik und öffentlichen Einrichtungen. Ein Bahnticket sollte man besser einige Tage im Voraus buchen. Züge, die in Deutschland vier Stunden brauchen, benötigen für die gleiche Strecke hier eine ganze Nacht und sind auf gefragten Routen oft ausgebucht. Außer in großen Städten mit internationalem Bahnschalter ist es auch schwer, ohne Russischkenntnisse irgendwohin zu kommen. Die Menschen sind es nicht gewöhnt, ein bisschen zu improvisieren: Als ich in Tschernopol am Bahnschalter auf meiner Karte auf die Stadt zeigte in die ich wollte, erntete ich nur ein »da kann ich dir auch nicht helfen« Schulterzucken. Erst mit Hilfe einer Übersetzerin erfuhr ich, dass es dahin einen Zug gibt, an diesem Schalter aber keine Tickets dafür verkauft werden. Mehr als einmal habe ich einen Laden frustriert verlassen, weil mich die zahlreichen Verkäuferinnen einfach ignoriert hatten: Die eine packt gerade Zigaretten aus und sortiert sie in irgendwelche Regale, die zweite bedient einen Kunden. Muss ja nicht alles sofort sein, denk ich mir und warte bis der Kunde abgefertigt ist und den Laden verlässt. Woraufhin sich die Verkäuferin der Reorganisation der Wurstwaren zuwendet, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, während die andere munter weiter Zigaretten sortiert. Soll ich einen Handstand machen oder was? Ich steh doch nicht im Laden, weil es draußen zu kalt ist.
Auch Politiker habe ihre eigenen Ideen von erfolgreicher Arbeit. Die Schweinegrippeseuche, die halb Europa im November 2009 in Angst und Schrecken versetzte, ist in den Augen vieler Ukrainer ein politisches Manöver des erfolgsarmen Präsidenten Juschtschenko. Die Zahl der Grippetoten ist in der Ukraine seit Jahren erschreckend hoch. In diesem Jahr war es nicht anders. In der ganzen Ukraine gibt es nur in Kiew die technischen Mittel, um den H1-N1 Virus tatsächlich nachzuweisen. Laut einer russischen Zeitung gab es zum Zeitpunkt meiner Ausreise nur einen bestätigten Toten mit H1-N1 Infektion, die anderen 30 Toten sind an sonstigen Grippeinfektionen gestorben. Die Zahlen unterscheiden sich kaum von denen der Vorjahre — schlimm genug — sagt es doch einiges über die Zustände im ukrainischen Gesundheitssystem. Da der Präsident gerne die erfolgreiche Bekämpfung einer Grippewelle auf seine Fahnen schreiben wollte, verbreitete er Panik und lies sämtliche Bildungseinrichtungen für drei Wochen geschlossen. Ein bisschen imponierende internationale Politik muss auch dabei sein, also bittet man die WHO um Unterstützung. Eine Grippewelle gab es sicher in der Ukraine und wahrscheinlich ist sie durchaus gefährlicher als in europäischen Ländern mit funktionsfähigem Gesundheitssystem. Jedoch wäre eine Reform des Gesundheitssystems sicherlich effektiver als ein solcher Schweinegrippe-Hype. Aber in Wahlkampfzeiten ist alles etwas dramatischer.
Es gibt aber auch Positives, um das ich die Ukrainer beneide: Bus und U-Bahn Karten sind ungeheuer billig. Und man braucht sich nicht durch unzählige Preis-Vorteils-Varianten zu kämpfen. Eine Fahrt kostet, was eine Fahrt kostet. Keine Anschlusskombi- und Zeitfahrkarten, die einem immer das Gefühl geben, doch irgendwie übers Ohr gehauen worden zu sein, weil man den Superspartarif wieder mal versäumt hat.
April 20th, 2010 at 11:09
meeeeensch thorsten, datt hört sich ja interessant an! das musste mir mal vis–à–vis erzählen. (falls du nochma in schland vorbeiguckst ) greetz !
April 20th, 2010 at 11:10
… seh grad, dass das unter dem komplett-artikel steht. ganz speziell meinte ich das mit dem aikido-meister
April 20th, 2010 at 11:40
Werd ich auch mal wieder. Wahrscheinlich bin ich am 22. Juni in Heggelbach bei meiner Schwester. Ein kleinen niedliches festival. Sobald ich mehr weiss, gibt es noch ne email Einladung.