Ukraine

BLAUBEEREN UND AIKIDO-MEISTER

Im Anschluss an das Rainbow bin ich mit Tanja, einer Ukrainerin, die ich auf dem Rainbow kennen gelernt hatte, einige Tage durch die Berge gewandert. Mit meinem mit Proviant deutlich über 30kg schweren Rucksack durchaus eine Herausforderung! Entschädigt wurde die Anstrengung mit atemberaubenden Ausblicken über die Karpaten, wunderschöner Natur und Besuchen in Dörfern, in denen sich in den letzten 50 Jahren scheinbar nicht viel verändert hat. Straßen sind meist nur geschottert oder teilweise total verlottert — wie die Betonplattenpiste, die wir von einem ehemaligen russischen Raketenstützpunkt hinunter ins Tal gelaufen sind. Nebenbei haben wir Blaubeeren gesammelt und uns fette Brombeeren von dicht behangenen Büschen in die Hände fallen lassen, pflücken war gar nicht wirklich nötig. Am Abend gab es dann Blaubeermaultaschen aus der Lagerfeuerküche und den in der Ukraine allgegenwärtigen »Greetschka« — Buchweizen, eine Art Nationalgericht. Es gibt eigentlich kaum jemanden, der die dreieckigen Körner nicht liebt, ob süß mit Beeren, Zucker oder Honig oder salzig mit was auch immer. Manch einer behauptet sogar, das Gelb-Blau der Ukrainischen Flagge hat ihren Ursprung in Greetschka: »yellow wheat and blue sky, that’s all we have«.

Nach einigen Tagen Bergwanderung haben wir uns auf dem Weg nach L’viv (oder L’vov auf Russisch) ein wenig mit trampen versucht. Das klappt zum einen in der Ukraine nicht so gut und zum anderen lohnt es sich bei den günstigen Preisen für Busse und Züge kaum. Dafür aber haben wir sehr interessante Menschen kennen gelernt. Ein Aikido-Meister, der mit seiner Frau, einem Kind und zwei Schülern am Rande der Zivilisation in den Bergen wohnt, hat uns zu sich eingeladen. Nach einer längeren Autofahrt, die uns fast zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zurück gebracht hatte, ging es noch mal eine halbe Stunde zu Fuß die Berge hoch. Zum größten Teil versorgte sich die Familie selbst aus den umliegenden Feldern und Wäldern. Die Häuser waren vorwiegend aus den vorhandenen Materialien in Handarbeit gebaut, eine kleine Schaaf- und Ziegenherde, zahlreiche Hühner, Katzen, Hunde und Tauben lebten mit auf dem kleinen Hof. Man lebt von Aikido Seminaren, die der Meister für aus der ganzen ehemaligen UdSSR anreisende Aikido Studenten gibt. Beeindruckt hat mich neben dieser Art zu leben aber die Kampfkunst: Die mit dem Meister am Hof lebenden Lehrlinge fielen beim morgendlichen Training rücklings auf den Boden, der Meister musste gegen die Angreifer meist nicht mal seine Hand erheben. Allein durch seine über vier Jahrzehnte lang trainierte Konzentration leitete er die Angriffsenergie zurück auf die Schüler. Die Kommunikation war für mich leider recht schwierig. Ich war auf Tanjas Übersetzungen angewiesen, der es schwer fiel, meine analytischen Fragen an den sich sehr bildhaft ausdrückenden und dauernd das Thema wechselnden Aikidomeister zu bringen. Ich konnte keine überzeugende Erklärung für dieses Phänomen bekommen. Irgendwie soll es wohl mit der Beeinflussung zwischenmolekularer Kräfte zu tun haben. Dafür konnte ich mich selber überzeugen: Der Versuch, dem Meister nach vorheriger Absprache auf die Nase zu hauen, misslang spektakulär. Es ging einfach nicht. Als friedlicher Mensch verfüge ich ja nicht über Kampferfahrung, aber so sehr ich es auch mit meinem Kopf wollte — meine geballten Fäuste trafen einfach daneben. Rückwärts umwerfen wollte er mich lieber nicht. Ich sei zu untrainiert und könnte mich ernsthaft verletzen, wenn er die gleiche Energie aufwendet wie gegen seine Schüler, die schon über mehrere Jahre Aikido-Erfahrung verfügen.

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3 Responses to “Ukraine”

  1. Stephan Says:

    meeeeensch thorsten, datt hört sich ja interessant an! das musste mir mal vis–à–vis erzählen. (falls du nochma in schland vorbeiguckst :-) ) greetz !

  2. Stephan Says:

    … seh grad, dass das unter dem komplett-artikel steht. ganz speziell meinte ich das mit dem aikido-meister ;-)

  3. Thorsten Krug Says:

    Werd ich auch mal wieder. Wahrscheinlich bin ich am 22. Juni in Heggelbach bei meiner Schwester. Ein kleinen niedliches festival. Sobald ich mehr weiss, gibt es noch ne email Einladung.

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