Ukraine

NOVEMBERSONNE IN SEWASTOPOL

Obwohl Alona in der Ukraine geboren wurde, musste sie als Israelin ein Visum für die Ukraine teuer erkaufen. Doppelte Staatsbürgerschaften gibt es in der Ukraine theoretisch nicht. Als Europäer hat man drei Monate Aufenthaltserlaubnis innerhalb eines halben Jahres. Der Versuch, Alonas Visum zu verlängern schlug trotz Unterstützung ihres Vaters aufgrund einer um einen Tag verspäteten Zahlung von 13 Grivna fehl. Mein Visum ließ sich nicht verlängern, weil ich keines hatte. Ein paar Nachforschungen hatte ich angestellt, erhielt aber nur die in der Ukraine üblichen »da muss wohl wer anderes zuständig sein« Informationen. Als man mich schließlich nach Kiew schicken wollte, gab ich auf.

Jacqueline war inzwischen nach Deutschland zurück gekehrt und es war Zeit, Abschied zu nehmen. Einen kleinen Besuch auf der Krim wollte ich aber noch machen. Marisha hatte mich nach Sewastopol eingeladen und so kam ich auf die Idee, die Ukraine mit einem Schiff in Richtung Süden zu verlassen. In Kharkow war es inzwischen winterlich kalt geworden. Für Alona waren die ersten Schneeflocken ihres Lebens eine große Freude. Kaum vorstellbar für einen Europäer. Zudem hatte ich doch in Israel im Jahr zuvor sogar in Jerusalem ein wenig Schneematsch gesehen.
Sewastopol dagegen ist deutlich wärmer, hier ist das Klima südeuropäisch und so gab es noch einige novemberliche Sonnentage. Wir sind durch antike griechische Ruinen spaziert und haben beeindruckende Steinbrüche in der Umgebung besucht. Abgesperrt ist in der Ukraine eigentlich gar nichts. Wenn man nicht aufpasst, stürzt man in irgendwelche Schluchten. Das kann durchaus auch in der Stadt passieren: Manchmal wird der Asphalt unterspült und man muss über metertiefe Löcher hüpfen. Oder irgendwer hat mal wieder aufgrund der hohen Metallpreise Gullydeckel gestohlen.

Für das Erkunden von Steinbrüchen hat das aber auch seine Vorteile: So konnten wir den über die Jahre ziemlich komplett ausgehöhlten Berg auch von innen besichtigen. Sewastopol war über die Jahrhunderte hinweg wohl immer ein strategisch wichtiger Ort. Zahlreiche Überreste alter Festungen zeugen von der umkämpften Geschichte. In Sowjetzeiten war die Stadt für Ausländer völlig unzugänglich. Die riesigen Militärareale sind mittlerweile auf ein zeitgemäßes Maß verkleinert worden und man kann die russische Schwarzmeerflotte jetzt während einer Hafenrundfahrt besichtigen. Zumindest noch bis zum Jahre 2017, dann läuft der Nutzungsvertrag aus, aber bis dahin schwappen noch viele Wellen an die Küsten der Krim und ob die antirussische Einstellung der Regierung solange vorhält, kann man kaum vorhersagen. Heute gibt es zwar in Sewastopol noch einige Militärareale, aber so ganz ernst scheint man diese nicht zu nehmen. Auf einem Spaziergang zu einem alten Leuchtturm standen wir etwas ratlos vor einem Kasernentor. Irgendein Offizier der gerade vorbeikam erteilte uns aber sogleich eine mündliche Durchgangserlaubnis. Erst war mir ein wenig mulmig, schließlich war ich Ausländer mit einer Kamera, was der Gute nicht wissen konnte, und ich wollte mich weder mit ukrainischen noch mit im gleichen Areal untergebrachten russischen Militärpolizisten auseinander setzen müssen. Nach einigen Kilometern über ein ehemaliges Flugfeld zeigte sich aber, dass die stattliche Umzäunung vorwiegend aus Löchern bestand. An der Küste rund um eine riesige Halle, vermutlich eine ehemalige Werft, waren verlassene und verfallene Schützengräben und Verteidigungsanlagen zu bestaunen. Kaum Vorstellbar, dass man hier mit einer Invasion von der Küste her gerechnet hatte. Irgendwie fühlte ich mich an Filme über die amerikanische Landung in der Normandie erinnert — nur dass die deutschen massivere Bunkeranlagen hinterlassen haben.

Wenn wir nicht gerade durch die letzten novemberlichen Sonnentage spaziert sind, haben wir uns dem Filmdreh gewidmet. Die künstlerisch hochbegabte Marisha hatte sich in ihren durchaus durchsetzungsstarken Kopf gesetzt, dass wir zusammen einen kleinen Animationsfilm machen sollten. Mit meiner Spiegelreflexkamera und einem improvisierten Stativ aus Stuhl- und Zeltstangen und zahlreichen Wachsschnecken und gemalten Hintergrundbildern versank Mutters Wohnzimmer mehr und mehr im Chaos. Die Gutmütige hat es nicht gerade leicht mit ihrer für ukrainische Verhältnisse ziemlich unkonventionellen Tochter. Olaga hat sich aber trotz unseres Einbruchs in ihr normalerweise vermutlich sehr geordnetes Leben und meiner gestenbasierten Kommunikation nicht aus der Ruhe bringen lassen und uns mit vegetarischer ukrainischer Küche bekocht. Meinen israelischen und italienischen Kochkünsten begegnete sie zwar mit einer gewissen Vorsicht, doch mit hausgemachter Pizza und Pasta konnte ich sie schließlich überzeugen.

Die ukrainische Küche ist saisonaler als unsere supermarktverwöhnten deutschen Kochgewohnheiten. Zwar kann man hier auch so ziemlich alles kaufen, was das Herz begehrt, aber zu den letztendlich gleichen Preisen, wie bei uns. Will man günstig leben ist man auf die lokalen Märkte und den eigenen Datschagarten angewiesen. Hier wird eingemacht, was in die Gläser passt, Dosenfood ist Luxusgut.

Der Abschied aus diesem wunderbaren Land fiel mir nicht Leicht, ich wäre gerne noch länger geblieben. Manchmal vermisse ich all die wundervollen Menschen, die ich in kennen lernen durfte.

Die letzten zwei Tage verbrachte ich vorwiegend damit mich um eine legale ausreise zu bemühen. Hatte ich doch meine legale Aufenthaltsdauer für die Ukraine überzogen. Schließlich erwiesen sich die Grenzbeamten jedoch als freundlich und europäisch unbestechlich. Trotz aller halbweisen Ratschläge von Ticketverkäufern und dem Ukraine Forum habe ich letztendlich ganz normal eine kleines Strafgeld bezahlt und bin per Schiff nach Istanbul gereist.

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3 Responses to “Ukraine”

  1. Stephan Says:

    meeeeensch thorsten, datt hört sich ja interessant an! das musste mir mal vis–à–vis erzählen. (falls du nochma in schland vorbeiguckst :-) ) greetz !

  2. Stephan Says:

    … seh grad, dass das unter dem komplett-artikel steht. ganz speziell meinte ich das mit dem aikido-meister ;-)

  3. Thorsten Krug Says:

    Werd ich auch mal wieder. Wahrscheinlich bin ich am 22. Juni in Heggelbach bei meiner Schwester. Ein kleinen niedliches festival. Sobald ich mehr weiss, gibt es noch ne email Einladung.

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